Gypsy

Die Sau Feng - so ein Schwein!

Als ich an Deck gehe, bietet sich mir ein relativ ungewohntes Bild. Die ganze Mannschaft sitzt im Kreis, und es ist erstaunlich ruhig. Einer redet. Es ist Phil.

"...müssten wir den neuen Captain doch eigentlich wählen", kriege ich gerade noch mit. Einige andere stimmen ihm brummend zu. O je. Das sieht nach Ärger aus.

"Hi Jungs!" sage ich betont fröhlich, setze mein strahlendstes Lächeln auf und klopfe Andy im Vorbeigehen kameradschaftlich auf die Schulter, bevor ich zwischen Matt und Jones Platz nehme. "Was gibt's? Ihr tut ja mächtig gewichtig!" setze ich, immer noch strahlend, hinzu. Scheiße.

"Wir, äh, waren gerade bei der, äh, Kapitänsfrage", spricht Phil, an mich gewandt, weiter. Nein, sowas. "Wir, äh, dachten, dass, also eigentlich..."
Carter fällt ihm ins Wort. "Also, eigentlich müsste der neue Kapitän gewählt werden, wie du weißt. Und es hat noch keine Wahl gegeben. Deshalb fragen wir uns, warum du jetzt eigentlich Käptn bist." Zustimmung von den billigen Plätzen. Jetzt sind Nonchalance und Kreativität gefragt. Ich stehe auf.

"Äh."

Alle sehen mich erwartungsvoll an, als würde ich jeden Moment in prophetisches Gebrüll ausbrechen oder so. Mein brauner Wollmantel kratzt am Nacken. Ich hoffe, es ist die Wolle.

"Ihr habt Jeffrey sehr geliebt, nicht wahr?" Zustimmendes Nicken. "Wir alle haben ihn gel... gemocht."

"In der Tat!" - "Und ob!"

"Dann würden wir doch sicher alle tun, was er für richtig hielt, oder?"

"Aye!"

"Gut. Dann kann ich eure Frage beantworten. Ich bin Käptn, weil Jeffrey mich zu seinem Nachfolger ernannt hat!"

Protest bricht los, die Männer springen auf.

"Niemals!" - "Dich?!" "Jeffrey hätte niemals eine Frau zum Käptn gemacht!"

In dem allgemeinen Getöse ertönt auf einmal ein regelmäßiges Piepsen aus meiner Manteltasche. Ich stutze. Die anderen auch. Ein Grinsen erscheint auf meinem Gesicht.

Triumphierend greife ich in meine Tasche und halte die Ursache des piepsenden Geräusches in die Höhe. Es ist ein kleiner, schwarzer Kasten an einem metallenen Ring. Daneben baumelt ein kleines Schwein aus Rosenquarz.

"Sein magischer Schlüsselanhänger!" kommt es staunend und etwas gequält von Matt.
"Und seine Glückssau Feng!" von Andy.
"Er hat mir das gegeben, als ich ihn fand. Er sagte, wenn ich euch das zeigen würde, würdet ihr überzeugt sein, dass er mich wirklich zu seinem Nachfolger ernannt hat."

Rob nähert sich. "Du warst in... seiner Sterbestunde bei ihm?" fragt er mit erstickter Stimme. Ich nicke und versuche betroffen auszusehen.
"Sie hat seine Hand gehalten, als er von uns ging", sagt Andy und schluchzt. "Er musste nicht gehen, ohne einen seiner Kameraden bei sich zu haben!" Ich starre auf den Boden und beiße mir auf die Lippen.

Um mich herum verhaltenes Schluchzen. "Sie ist so gut, unsere Cagypso. Ist sie nicht wahrhaft würdig, Käptn zu sein?" bringt Thomas erstickt heraus. Meine Augen, die immer noch auf den Boden starren, werden groß.

"Aye!" tönt es ringsum.

"Wie... wie ist er... wie ist es denn eigentlich passiert?" will Rob wissen.

"Erstochen", gebe ich hoffnungslos zurück. "Hinterrücks."

"So ein Schwein! Einen tapferen Mann hinterrücks zu erstechen!"
Die anderen fallen ein. "So ein ehrloser Mistkerl!" - "Wenn wir den kriegen!"
"Ja", sage ich, mit Empörung in der Stimme. "Ein ehrloses Schwein! Unglaublich!"
Als sich der allgemeine Tumult ein wenig gelegt hat, ergreift wieder Phil das Wort.

"Nun, dann wäre die Kapitänsfrage wohl geklärt. Nur eine Frage, Käptn... bleibe ich jetzt Quartermaster?" Ich sehe das Flehen in seinen Augen, auch wenn seine Stimme beiläufig klingt.

Und ein einziges Mal nutze ich einen Geistesblitz in dem Moment, in dem ich ihn habe.

"Klar", sage ich lässig. "Sofern du bereit bist, ein paar.... Bedingungen zu erfüllen."
Die Männer wechseln unsichere Blicke. "Bedingungen? Was für Bedingungen?", fragt Phil, sichtlich verwirrt.

Aber das kann ich nicht vor der ganzen Mannschaft offenlegen.
"Komm mit", sage ich, und mache mich auf den Weg in meine Kajüte. Das Lachen und Johlen der Crew hinter uns ignoriere ich.
Einfältige Blödmänner.

Captain Cagypso

Captain Cagypso.... Captain... Captain.... *think think think*
Ich sitze in meiner Kajüte und lasse mir das Wort 'Captain' auf der mentalen Zunge zergehen. Es gefällt mir. Vor allem in Verbindung mit meinem Namen. Leider könnte ich den Titel schneller wieder los sein, als mir lieb ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Crew merkt, dass ich so ahnungslos wie ein Gänseblümchen bin. Was die Seefahrt betrifft. Äh. Wie auch immer: Ich brauche Kenntnisse. Fundierte Sachkenntnisse.

Grübelnd begebe ich mich an Deck. Ich stelle mich an die Reling und sehe auf das Meer hinaus, über dem die Sonne immer tiefer sinkt.
Ich wette, Sie erwarten jetzt das Übliche. Dass ich erzähle, dass meine wallenden roten Locken in der untergehenden Sonne flammend im Wind wehen, während meine katzenhaften grünen Augen, die im Kampf Funken sprühen, gedankenverloren über den Horizont schweifen; dass ich beiläufig einfließen lasse, dass meine schmollenden Lippen die gleiche Farbe haben wie mein feuriges Haar; dass ich über dem schulterfreien Blüschen ein Mieder trage, das mindestens die Hälfte meiner prallen Brüste sehen lässt und dass mein Hintern in den an Frauen so ungewohnten Hosen so verlockend aussieht wie eine knackige Nektarine.

Aber ich muss Sie enttäuschen. Diese Beschreibung wäre nicht nur so gelogen, dass sich die Balken biegen; ich fürchte, das Schiff würde unter mir auseinander brechen. Deshalb erzähle ich Ihnen die Wahrheit. Meine Haare sind weder rot noch wehen sie, weil langes offenes Haar im Wind einfach nur Kacke ist, es sei denn man ist zufällig die Gallionsfigur. Meine Augen sind weder grün noch können sie sprühen (allerdings spucke ich manchmal beim Reden, aber ich schätze, das ist nicht ganz das gleiche). Die Kleidung, die ich trage, ist überwiegend praktisch und dem Leben an Bord angemessen, das heißt, meine Schultern stecken in einem weiten Hemd - und haben Sie jemals in einem Mieder ein Schiff gekapert? Oder sich überhaupt darin bewegt? - Na also. Glücklicherweise macht meine nicht vorhandene Üppigkeit ein Mieder auch gar nicht erfoderlich, daher trage ich statt dessen eine ehemals sehr schicke und inzwischen recht mitgenommene Herrenweste. (Jetzt keine Kalauer über das 'mitgenommen', bitte, ja?) Und haben Sie schonmal unsere Hosen gesehen? Damit ein Hintern darin knackig aussieht, müsste er schon mindestens die Ausmaße eines gut gewachsenen Kürbis' haben. Und mein Cutlass beginnt auch nicht, lila zu leuchten, wenn ich zornig bin. Er wird dann lediglich etwas unkoordinierter eingesetzt. Dafür mit mehr Gewalt.
Alles in allem sind sowohl ich als auch meine Kleidung vor allem eines: Unspektakulär und ziemlich dreckig. Das einzige, was hier einen hinreißenden Anblick bietet, ist der Sonnenuntergang.
Und der erinnert mich an was. Wir sind wieder auf dem richtigen Kurs. In ein paar Tagen werden wir das malaiische Inselgekleckse hier hinter uns haben und uns auf dem Indischen Ozean befinden. Auf dem Weg nach.... Süden. Und... weiter. Geführt von einem Captain, der nicht die geringste Ahnung hat. Von....


...mir.

Himmelarschundzwirn. Ich brauche Rum. Und dann muss ich mir etwas einfallen lassen. Hatte unser vorheriger Captain denn keine Bücher über die Seefahrt an Bord? Ich durchwühle die Kisten in seiner..... in meiner Kajüte. Nix. Jede Menge Zeug, aber keine Bücher. Mist. Ich kann ja schlecht zu meiner Crew hingehen und sagen: Hey, Jungs, könnt ihr mir'n bisschen was übers Segeln beibringen? - Gnah. Der Frust beginnt mich mit eisernen Klauen zu packen. Während ich wütend in der Kajüte auf und ab gehe, wandert die Rumflasche immer öfter an meinen Mund.
Ich beginne, mir Vorwürfe zu machen. Die vermaledeite Stimme der Vernunft, die mich fragt, warum ich diesen Mist überhaupt erst gemacht habe. Die hilft mir auch nicht weiter mit ihren mentalen Ohrfeigen. Ich bringe sie mit einem Fluch, bei dem Blackbeard ohnmächtig geworden wäre, zum Schweigen, und in der daraufhin eintretenden, wohltuenden Stille kommt mir.... auch keine Idee.

Wunderbar. Ich sehe vielen Tagen auf hoher See entgegen, und an einem von ihnen wird definitiv gemeutert werden.

Und ich weiß nicht, wie man das Beiboot benutzt.

Wo lang ist da lang??



Endlich ausgeruht. Ich strecke mich und öffne die Augen. Erst mal die Lage sondieren.

Es scheint Nachmittag zu sein. - Moment. Die Sonne steht da, wir müssen nach Süd-Südost, das ist.... da *zeig*. Hey!

"Wir fahren in die ganz falsche Richtung!", brülle ich. Wir sind auf Kurs Nordost. "Wer hat diesen Mist gemacht?!"
"Äh...", kommt die zögerliche Antwort von Montgomery (bei dem niemand weiß, ob es der Vor- oder Nachname ist), "Ihr habt das angeordnet, Captain. In diese Richtung habt Ihr heute Morgen gezeigt."

"Gezeigt? Gezeigt?", gebe ich gereizt zur Antwort. "Sind wir hier im Zoo, dass wir zeigen? Wir wollen ans Ende der Welt, dafür müssen wir erstmal nach Süden!" - "Aber...." - "Nix! Sofort umdrehen! Nach Süden! Mei, was das wieder kostet!" Ich raufe mir die Haare.
Als ich sehe, dass meinem höchstcaptainschen Befehl Folge geleistet wird (Ha!), gehe ich in die Captain's Quarters. Ich hoffe, dabei sehr wichtig auszusehen.

Drinnen hole ich meine Karten hervor, finde auch einen Kompass und so einen lustigen Zirkel (was macht man damit? Egal, ich werde es schon rausfinden) und setze mich an den Tisch. Ich brauche einen Plan. Zuerst mal muss ich dringend meine nautischen Kenntnisse verbessern. Und dann muss ich auf meinen Rumkonsum achtgeben. - Rum.... gutes Stichwort. Ich sehe mich suchend um.

Ah! Da hinten steht eine Flasche. Hergeholt. So. Und nun an die Arbeit.

Set sails in a general.... that way.... direction!



Uaah. Was für eine Nacht. Um zu vermeiden, dass die Kerls mir den ganzen Rum wegsaufen, musste ich fast eine ganze Flasche trinken. So kam ich natürlich erst in der Morgendämmerung in die Koje. Und kaum war ich eingeschlafen, wurde ich von Klopfen an meiner Tür und hilflosem Gestammel wieder geweckt. Die können auch keine drei Meter ohne mich segeln.

Richtung. Welche Richtung...? Äh, ja. Gute Frage. Wo wollten wir hin? Da unten irgendwo. Ich zeige vage nach Süden oder da hin, wo ich es in meiner Schlaf- und sonstigen Trunkenheit und mit halbgeschlossenen Augen vermute, und sage: "Da lang." Dann strecke ich mich rücklings auf den Planken des Quartderdecks in der Sonne aus und entspanne mich. Das Rauschen von Wind und Meer wiegt mich in einen leichten Schlummer.

Aufbruch im fernen Osten



Singapur. Heimat malaiischer Fischer, Tummelplatz für Piraten und das Sodom und Gomorrha der Küstenorte der Welt.

Es stinkt nach Fisch, und irgendwie ist es hier immer dunkel. Huren säumen die Straßen, leichter bekleidet als ich in einer Sommernacht im Bett. Wird Zeit, dass ich hier weg komme.
Im Hafen liegt die Gypsy of the Seas, meine heißgeliebte Galeone. War auch schwer genug, sie zu kriegen. Mein Vorteil war, dass Herr Eine-Frau-kann-kein-Captain-sein nicht damit gerechnet hat, dass eine es ihm einmal von hinten besorgen könnte. Mit einem Cutlass.


Wie auch immer. Meiner Crew in den Hintern getreten, die Segel gesetzt und weg aus diesem Loch. Richtung.... Süden. Könnte man sagen.

Navigatorkopf

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Wieso Onkel??
Vollkommen entgeistert blieb Will erst einmal sitzen,...
Thinderyn - 24. Dez, 23:14
Apportieren, leicht gemacht
Captain Teague in seiner unvergleichlichen, einzigartigen...
Ehdi - 19. Dez, 01:02
Die Handelsmarine feiert...
Fasziniert betrachtet er die Türklinke in seiner Hand,...
Thinderyn - 16. Dez, 22:28
Macht platt die Tür!
"Sind wir hier denn richtig?" "Mh!" "Also ich weiß...
Ehdi - 6. Dez, 23:54

Kalender

September 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 
 

Set sails in a general.... that way... direction!

 

Anklagepunkte

Online seit 6675 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Dez, 23:15

Hafenmeister


Ehdi
Ehdi & Jack
Gypsy
Jack & Will
Scarlett & Giselle
Thin & Will
Tiara & Norri
Weihnachten bei Turners
Weihnachten in Shipwreck Cove
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren